Review/Premierenbericht< Zurück 20.03.2009

Little Alien

Von Max Werschitz

Gestern feierte Nina Kusturicas Doku 'Little Alien', über minderjährige Flüchtlinge in Österreich und an den Grenzen der "Festung Europa", bei der Diagonale Weltpremiere. Cast und Crew waren angereist um ihr Projekt zu diesem wichtigen Thema selbst vorzustellen.

"Kein Mensch ist illegal". Treffender als dieser Slogan kann man es wohl kaum formulieren. Und muss sich dabei sogleich bewusst machen dass es unsere bereits leicht verkehrte Welt ist die es überhaupt notwendig macht eine fundamentale Wahrheit als "Slogan" zu verpacken und zu verkaufen. Verkaufen, ja an wen denn? Im Grunde an die Bürgerinnen und Bürger der 'Fortress Europe' selbst, denen seit Jahrzehnten von so manchem Politiker und zu vielen Medienvertretern subtil aber ständig indoktriniert wird dass unser Wohlstand und unsere Sicherheit einen Preis haben: "Wir gegen die anderen".

Nina Kusturicas 90minütige Doku 'Little Alien', die gestern bei der Diagonale vor ebenso begeistertem wie betroffenen Publikum Weltpremiere feierte und von Intendantin Barbara Pichler persönlich anmoderiert wurde, nimmt sich auf ihre eigene Weise der Darstellung dieses Problems an. "Alien", das ist die offizielle englische Bezeichnung eines Fremden der nicht die Staatsbürgerschaft des Landes hat in dem er lebt - oder zumindest zu überleben versucht. "Little aliens", das sind die minderjährigen Flüchtlinge die Kusturica und ihr Team über 2 Jahre lang mit der Kamera begleitet haben, hauptsächlich in Österreich, aber auch Griechenland und Nordafrika. Allen gemeinsam ist dabei, ob sie es schon in die Festung Europa geschafft haben oder nicht, die Trennung von der Familie, das Trauma der Flucht und die Ungewissheit wie ihr Leben nun weitergehen soll. In Patras (Griechenland), Tanger (Marokko) und der spanischen Exklave Ceuta (Nordafrika) sind die Jugendlichen gewaltbereiter korrupter (Grenz)polizei ausgeliefert und versuchen dennoch immer wieder ihre verzweifelte Reise zumindest in Etappen fortzusetzen. Im Auffanglager Traiskirchen oder Flüchtlingswohnheimen in Wien werden sie mit unverständlicher und oft sogar menschenverachtender Bürokratie konfrontiert. Für sie gibt es wenn sie Pech haben die "Rote Karte", wenn sie Glück haben die "Weiße Karte", wenn sie aus einer besonders prekären Krisensituation kommen den "Paragraphen 8"; und auf dem Weg dorthin unzählige Einvernahmen, Altersfeststellungen durch einen Arzt, Kontrollen argwöhnischer Sicherheitsbeamter, und wie ein roter Faden durch all dies eine ständige Unsicherheit, ein ständiges Hoffen und Bangen und monate- oder gar jahrelanges Warten.

Der Film zeichnet sich durch einfühlsames Beobachten aus. Auf klassische Interviews wurde in den Haupterzählsträngen verzichtet; stattdessen begleitet der Zuseher wie ein normaler Teil der Gruppe die ProtagonistInnen Asha und Nura aus Somalia, Alem und Jawid aus Afghanistan, und viele andere auf ihrem Weg in und durch die für sie neue Welt. Zusätzlich wird in einigen strategisch platzierten Szenen ein nüchterner Blick auf die "andere Seite" präsentiert, die hochtechnisierten Überwachungszentren und Grenzanlagen rund um die Europäische Union. Schmerzlich werden dabei Erinnerungen an die Berliner Mauer und Ähnliches wach.

Nach der Vorführung kamen nicht nur Nina Kusturica und ein Teil des Teams, sondern auch einige der im Film gezeigten Betroffenen auf die Bühne; in tragisch passend gewählter Symbolik trugen sie alle Schwimmwesten.

Kusturica, die 1992 selbst vor dem Krieg in Bosnien-Herzegovina nach Österreich geflüchtet war, gewährte einige Einblicke in die Arbeit am Film: während der 2 Jahre Drehzeit hatte sich über 120 Stunden Material angesammelt, sie und Mitproduzentin Eva Testor wunderten sich nach eigenen Angaben immer noch wie sie es geschafft hatten daraus einen 90minütigen Film zu machen. Die Dreharbeiten waren von vielen unfreiwilligen Pausen und Problemen mit den Behörden verbunden - in Traiskirchen selbst darf z.B. nicht mit den Insassen gesprochen werden, erste Kontakte zu Beginn des Projekts mussten sehr vorsichtig und ausserhalb des Flüchtlingslagers erfolgen. Auf die Frage wie es denn bezüglich dem Dreh mit den Schleppern ausserhalb der EU gelaufen war meinte sie lakonisch diese hätten weit weniger Probleme gemacht als die heimische Bürokratie und wiesen im Gegensatz zu letzerer generell eine erstaunliche "Handschlagqualität" auf.

Einer der afghanischen Protagonisten meinte scherzhaft, als gefragt wurde ob sie die Kamera irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen hätten, "Wir dachten die verstehen eh nicht was wir reden". Eine Aussage die zumindest für die unmittelbaren Dreharbeiten oft stimmte und von Kusturica in gewisser Weise bestätigt wurde: sie lobte die Arbeit des Kameramanns Christoph Hochenbichler der aufgrund der Sprachenbarriere zeiteweise einfach "auf Gefühl draufgehalten hatte".

Einen passenden Abschluss zur Diskussion lieferte wiederum einer der Betroffenen auf der Bühne: auf die Frage wie man denn als Flüchtling auf den scheinbar speziell in Österreich so weit verbreiteten Fremdenhass reagiere entgegnete er philosophisch: "Das ist eigentlich überall so. Aber man kann die Menschen nicht so einfach vergleichen. Die Menschen sind wie ein Dschungel: es gibt im Dschungel unglaublich viele unterschiedliche Bäume. Und die einen sind eben noch grün, die anderen schon vertrocknet."

Mehr Infos zum Film gibt es unter www.littlealien.at

 

Meine Wertung:
4 Kinomos